Die Lage vieler schwerstverbrannter Patienten in Europa wird sich künftig erheblich verbessern. Davon sind nicht nur die Ärzte der Klinik für Plastische-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) überzeugt. Der Grund für solchen Optimismus: der biosynthetische Lederhautersatz „Integra“ aus den USA, der von Harvard-Professor John F. Burke speziell für Verbrennungen entwickelt wurde. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung bezifferte die Zahl der von niedergelassenen Ärzten behandelter Verbrennungspatienten auf etwa 350 000 pro Jahr.
Jährlich sterben in der Bundesrepublik an den Folgen von Verbrennungsverletzungen rund 430 Menschen. Und die von der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Verbrennungsmedizin für das Jahr 2001 erhobene Statistik erbrachte, daß bundesweit in 13 Schwerverbranntenzentren 1008 Patienten behandelt wurden. Das Ausmaß der verbrannten Körperoberfläche dieser Patienten lag im Durchschnitt bei circa 27 Prozent.
Die Haut ist aus drei Schichten aufgebaut
Schutzhülle Haut Die Haut, die den menschlichen Körper wie eine Schutzhülle umgibt, ist in drei Schichten aufgebaut:
Oberhaut
Die Oberhaut (Epidermis) bildet die Grenzfläche des Körpers zu seiner Umwelt und besteht aus einer ganz unten liegenden Keimzellschicht, aus der die Zellen der Oberhaut nachwachsen. Diese Zellen steigen in ihrer Entwicklung weiter zur Oberfläche auf. Während des Weges wird mehr und mehr Hornsubstanz in die Zelle eingelagert, der Zellkern schrumpft und geht schließlich verloren, so dass an der Oberfläche
eine unterschiedlich stark ausgeprägte Hornschicht entsteht.
In der Keimzellschicht befinden sich außerdem Zellen, die ein braun-schwarzes Pigment, das Melanin, bilden. Die Bildung des Melanin wird angeregt durch Sonneneinstrahlung und schützt das tiefer liegende Gewebe vor den schädlichen Einflüssen der UV-Strahlung.
Lederhaut
In der Lederhaut (Corium), die bei drittgradigen Verbrennungen immer betroffen ist, findet man die sogenannten Hautanhangsgebilde: Drüsen, Haare und Nägel. Die Blutgefäße in dieser Schicht sind eher klein und bilden besonders an der Grenzfläche zur Oberhaut sogenannte Kapillarnetze. Diese Grenzfläche besteht aus fingerförmigen Ausstülpungen (Papillen), in denen Kapillaren (kleinste Blutgefäße) liegen, die unwillkürlich erweitert oder verengt werden können und so den Durchblutungsgrad der Haut verändern. Damit wird die Wärmeabgabe über die Haut reguliert, (Thermoregulation).
Unterhaut
Schließlich stellt die Unterhaut (Subcutis) die Verbindung zwischen Haut und Muskulatur dar. Sie dient zum einen der äußeren Formgebung, zum anderen als großer Energiespeicher. Fettgewebe kann bei Hungerzuständen zur Energiebereitstellung abgebaut werden. Durch das Fettgewebe geschützt ziehen die oberflächlichen Blutgefäße des venösen Gefäßsystems. Die Größe der Gesamthaut ist abhängig von Körpergewicht und Größe und beträgt bei einem durchschnittlich erwachsenen Menschen ca. 1,5 bis 1,8 Quadratmeter.
Verbrennungen – wenn es der Haut zu heiß wird
Die Haut ist ein wichtiges Organ für die Sinneswahrnehmung: Druckrezeptoren in der Oberhaut, Tastrezeptoren im Grenzbereich zur Lederhaut, Vibrationsrezeptoren in der Unterhaut. In allen Schichten der Haut liegen freie Nervenenden, die für das Schmerzempfinden zuständig sind.
Die schwerwiegendste Verletzung der Haut- neben großen Riss-, Quetsch- oder Schnittwunden- ist die Verbrennung.
Wer sich schon einmal beim Bügeln oder Kochen die Finger verbrannt hat, weiß, wie schmerzhaft das sein kann. In den meisten Fällen handelt es sich hierbei aber nur um kleine, geringfügige Verbrennungen, sogenannte Verbrennungen ersten Grades. Dabei kommt es zu Rötungen und Schwellungen der Oberhaut. Wesentlich schmerzhafter wird es, wenn die Berührung mit dem Bügeleisen oder Herd von größerer Intensität war. Dann kommen zu den Rötungen und Schwellungen noch Blasen hinzu – man spricht von einer Verbrennung zweiten Grades. Sind größere Hautareale betroffen, muß meistens der Arzt behandelnd eingreifen.
Lebensgefährlich sind Verbrennungen dritten Grades: Es kommt nicht nur zur Zerstörung der Lederhaut, häufig ist auch die Unterhaut mitbetroffen. Je großflächiger und tiefer die Verbrennungen sind -beispielsweise entsprechen 50 Prozent der Haut bei einem 1,75 m großen und 70 kg schweren Erwachsenen ca. einem Quadratmeter Hautoberfläche – desto geringer ist die Überlebendchance.
Notversorgung bei Brandverletzungen schweren Grades
Alle Patienten mit Brandverletzungen größerer Tiefe (3. Grad) und Ausdehnung werden in einer Klinik mit Verbrennungszentrum in einem Erstversorgungs-Bad für Schwerbrandverletzte primär versorgt. Dabei werden Abstriche an der Körperoberfläche zur Bestimmung des Keimspektrums entnommen. Danach erfolgt ein Ganzkörperduschbad, wobei auch alle unverbrannten Areale mit antiseptischer Waschlotion intensiv gereinigt werden. Bei ausgedehnten Verbrennungen erfolgt die Entfernung der gesamten Körperbehaarung, mit Ausnahme von Augenbrauen und Wimpern. Im Bereich der erbrennungswunden werden schonend alle Blasen und Blasenreste abgetragen sowie alle Ruß- und Schmutzpartikel entfernt (Debridement).
Noch am gleichen Tag wird während einer Operation das verbrannte Fleisch tief ausgeschnitten. Als Ersatz für die Lederhaut wird, falls nicht genügend gesunde eigene Haut zur Verfügung steht, Leichenhaut für die Zwischendeckung genommen. Gleichzeitig werden aus der noch vorhandenen gesunden Haut Deckzellen, sogenannte Keratinozyten entnommen und gezüchtet. Nach circa zwei bis drei Wochen wird dann die „Leichenhaut“ durch die neu herangezüchtete Haut ausgetauscht, Komplikationen, bei denen die Spezialisten meist hilflos sind, treten häufig ab dem dritten Tag nach der Verbrennung auf. In dem verbrannten Gewebe tummeln sich zahlreiche Keime und Bakterien.
Dadurch kommt es im gesamten Organismus zu einer schweren Entzündung. Im Bereich der nicht mehr durchbluteten verbrannten Haut vermehren sich die Bakterien sehr stark. Gelangen diese Bakterien innerhalb der ersten Woche in die Blutbahn, erzeugen sie oder ihre Zerfallprodukte (Endotoxine) im Organismus eine Blutvergiftung (Sepsis). Sie führt in 40 Prozent aller Fälle zum Tod. Bei frühzeitiger Erkennung der Sepsis wird eine Therapie mit dem Immunglobulin M, das die Endotoxiene binden, eingeleitet.
Der biosynthetische Hautersatz
Dreidimensionale Matrix Prof. John F. Burke von der Harvard Medical School in Boston entwickelte zur Behandlung schwerer Verbrennungen eine sogenannte extrazelluläre Matrix. Damit verbessert sich die bis dahin schlechte Prognose bei Schwerverbrannten ganz erheblich. Nach der operativen Entfernung der verbrannten Hautareale ist eine sofortige „Defektdeckung“ zwingend erforderlich: Dieser unmittelbare Wundverschluss war bis dato bei Schwerstverbrannten nicht möglich, da nicht genügend unverletzte Areale als Spenderstellen für körpereigene Hauttransplantate zur Verfügung standen.
Aufgrund des nicht hundertprozentig auszuschließenden Restrisikos einer HIV- oder Hepatitisübertragung beim Einsatz von Fremdhaut, stellt die von Professor Burke entwickelte künstliche Lederhaut für die Behandlung schwerverbrannter Patienten eine sehr wichtige Alternative dar.
Das dreidimensionale Maschennetz besteht aus zwei Schichten: Die untere Schicht enthält Chondroitin-6-Sulfat, das aus Haifischknorpel gewonnen wird, sowie aus Collagen, das in Rindersehnen enthalten ist. Darüber befindet sich als Schutzschicht eine dünne Silikonfolie, die etwa zehn Tage nach der Implantation entfernt wird.
Der Lederhautersatz ist unbegrenzt verfügbar und wird in einer Alkohollösung steril verpackt gelagert. Durch die Implantation dieses Lederhautersatzes wird das Risiko einer Sepsis drastisch minimiert und die Sterblichkeitsrate auf circa zehn Prozent gesenkt. Außerdem entstehen nicht wie bisher unästhetische verstümmelte Narben, weil die extrazellulare Matrix vom Organismus als „körpereigene Haut“ akzeptiert wird.
Sinnvoll ist die Verwendung der künstlichen Haut nicht nur nach Verbrennungen, sondern auch bei immer wieder aufbrechenden Narben, die leicht entarten können. Auch bei Druckgeschwüren oder bei anderen nicht mehr heilenden Wunden ist der Einsatz der künstlichen Haut möglich. Mediziner wünschen sich, die Kunsthaut bald mit gezüchteten Hautzellen kombinieren zu können. Das gezielte Züchten und Nachbauen von Organen und Geweben – das sogenannte „tissue engineering“ – wird in Zukunft den Chirurgen ganz neue Möglichkeiten eröffnen.