(Januar 2001) Acetylsalicylsäure (ASS) ist ein lang bekanntes und bewährtes Arzneimittel, das unbestritten seinen Platz in der Prophylaxe kardiovaskulärer Ereignisse (Ereignisse aufgrund einer Grunderkrankung des Herz-Kreislaufsystems, wie z.B. Herzinfarkt, Schlaganfall) bei bestimmten Risikopatienten besitzt. Meldungen über eine möglich Senkung des Risikos für colorectale Karzinome (Darmkrebs) bei Langzeittherapie mit ASS führten dazu, dass vor allem in den USA viele Menschen glauben, mit der täglichen Einnahme von ASS auch ohne ärztliche Verordnung ihre Gesundheit erhalten und schützen zu können. Neu entwickelte, sog. „modifiziert freisetzende“ Arzneiformen, z.B. magensaftresistente oder retardierte Formulierungen, erwecken den Anschein, die Einnahme von ASS verträglicher und praktisch nebenwirkungsfrei gestalten zu können.
Das dem nicht so ist, legen Ergebnisse einer Metaanalyse verschiedener Studien zur Langzeiteinnahme von ASS nahe, die im British Medical Journal von Sheena Derry und Yoon Kong Loke veröffentlicht wurden (Brit. Med. J. 2000, 321, 1183-1187). In dieser Arbeit wurde die Häufigkeit von schweren gastrointestinalen Blutungen (Blutungen im Magen-Darm-Trakt), die sich in Bluterbrechen oder Teerstuhl äußern, an knapp 60 000 Patienten untersucht. Dabei fand man heraus, dass die Langzeiteinnahme (min. 12 Monate) von ASS das Risiko für diese Nebenwirkung, die nach Schätzung für 12 % tödlich enden wird, signifikant erhöht, unabhängig von der Dosis (50mg bis 1500mg täglich) oder der Art der verwendeten Arzneiform. Wird ASS über längere Zeit ohne ärztlich Verordnung eingenommen, so dürfte das Risiko für den Anwender noch größer sein, da ev. vorhandene Gegenanzeigen oder weitere Risikofaktoren nicht erkannt werden.
Daher muss vor einer unkritischen Langzeiteinnahme von ASS, in welcher Dosierung oder Arzneiform auch immer, gewarnt werden. Auch bei diesem nicht verschreibungspflichtigen Medikament ist eine Nutzen-Risiko-Abwägung durch den Arzt erforderlich.
Keine Wirkung ohne Nebenwirkung?
ASS wird schon seit gut 100 Jahren als Arzneimittel wegen seiner fiebersenkenden, entzündungs- und schmerzhemmenden Wirkung genutzt. Erst in den späten 60iger Jahren erkannte man eine weitere Eigenschaft, nämlich die blutgerinnungshemmende Wirkung.
Seit den 80iger Jahren ist ASS, sofern keine Gegenanzeigen vorliegen, aus der vorbeugenden Behandlung bestimmter kardiovaskulärer Ereignisse, wie z.B. Herzinfarkt oder Schlaganfall nicht mehr wegzudenken.
Mit der erwünschten Wirkung, die Hemmung der Blutgerinnung, musste auch die unerwünschte, nämlich die Eigenschaft, Geschwüre an der Magen- oder Darmschleimhaut zu erzeugen, die zur Blutung neigen, in Kauf genommen werden. Im Falle von ASS ist dies besonders kritisch, da durch die verlängerte Blutungszeit, die auch nach Absetzen der ASS für etwa eine Woche erhalten bleibt, die Gefahr größerer Blutverluste steigt, was sich in Bluterbrechen oder Teerstühlen äußern kann. Für die Behandlung sind häufig Bluttransfusionen erforderlich und für etwa 12 % der Betroffenen endet dieses Ereignis sogar tödlich.
Da man für die Nebenwirkung eine Dosisabhängigkeit vermutete, versuchte man durch den Einsatz geringerer Dosen und speziell entwickelter Arzneiformen, die Gefahr von gastrointestinalen Nebenwirkungen zu vermindern unter Erhalt der Wirkung auf die Blutgerinnung. Dass dieses in der Theorie durchaus plausible Konzept möglicherweise nicht stimmt, zeigt eine im November 2000 im British Medical Journal veröffentliche große Studie von S. Derry und Yoon Kong Loke.
Dort fand man heraus, dass sich das Risiko schwerer Blutungen bei Langzeiteinnahme von ASS (min. 12 Monate, Durchschnitt 24 Monate) gegenüber Placebo von ca. 1.4% auf etwa 2.4% erhöht und zwar unabhängig von der verwendeten Dosierung (50mg bis 1500mg täglich) und der Arzneiform (schnell freisetzende oder modifiziert freisetzende Präparate). Diese Zahlen mögen nicht so bedeutend erscheinen, dennoch ist zu befürchten, dass eine Langzeittherapie mit ASS in der Selbstmedikation zu größeren Risiken führt, da Gegenanzeigen oder andere Risikofaktoren nicht erkannt werden.
Diese Ergebnisse verdeutlichen, dass auch für die ASS Langzeittherapie eine Nutzen-Risiko-Abwägung vorgenommen werden muss und nur auf ärztliche Anordnung durchgeführt werden soll. Weiterhin müssen weitere Untersuchungen den Stellenwert der teureren, modifiziert freisetzenden Präparate klären.
Autorin: Isolde Altersberger
Apothekerin für klinische Pharmazie