Der Gast nennt sich PCB alias «polychlorierte Biphenyle». Er ist über 140 Jahre alt (die Zeit scheint ihm nichts anzuhaben), weit gereist und ein echtes Universaltalent: PCB erfreute sich einst grosser Beliebtheit als Isolierflüssigkeit in Kondensatoren und Transformatoren, Dichtungsmasse für Betonfugen oder Trägersubstanz für Insektizide.
PVC und Gummi machte es geschmeidiger, und als Farbzusatz bot es einen besonders in Kriegszeiten wertvollen Flammenschutz. Seine Werkstoffeigenschaften wie chemische Stabilität und Langlebigkeit, aber auch die gute Fettlöslichkeit, öffneten ihm Tür und Tor zu verschiedensten Anwendungsgebieten und weltweiten Absatzmärkten.
Diese einst so hoch gelobten Eigenschaften sind heute der Fluch der Jahrtausendwende: Noch Jahrzehnte wird PCB überall in Luft, Boden und Wasser zu finden sein. Der Fischotter, der vermutlich wegen der PCB-Belastung in einigen Gewässern ausgerottet worden ist, kann wohl erst in weiter Zukunft wieder angesiedelt werden. Manche Häuser, Krankenhäuser, Schulen und Kindergärten werden bald saniert werden müssen, und sogar unsere Nahrungsmittel enthalten Spuren von PCB.
Das Gift, das nicht totzukriegen ist
1968 floss in einer japanischen Lebensmittelfabrik flüssiges PCB aus einer Kühlanlage in einen Reisöltank. Das so vergiftete Öl gelangte über den Handel in Tierfutter und Lebensmittel. Als erstes starben rund 100.000 Hühner. Bald darauf litten Menschen an Schäden der Leber, der Nieren und der Milz, bekamen Chlorakne oder Sehstörungen. Fehlgeburten häuften sich und Säuglinge kamen mit dunklen Hautverfärbungen zur Welt, die sie zu Aussenseitern stempelten.Jetzt war die Giftigkeit von polychlorierten Biphenylen im Bewusstsein der Öffentlichkeit fest verankert und der Stoff wurde in der Folge in zahlreichen Ländern erst teilweise und schliesslich Mitte der achtziger Jahre gänzlich verboten.
Folgt man einer 1994 vom Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL) herausgegebenen Studie, entstammt ein grosser Teil des in der Umwelt zirkulierenden PCB noch aus alten Zeiten und wird wegen seiner schlechten biologischen Abbaubarkeit noch heute mit Wind, Niederschlägen und Nebel gleichmässig über die Regionen verteilt. Kondensatoren von Leuchstoffröhren, die durch Lecks oder unsachgemässe Entsorgung die Luft belasten oder kontaminiertes Motoren-, Transformatoren und Schalteröl sind in der Zwischenzeit weitgehend eliminiert worden.
Jüngste Messungen in einzelnen Schulhäusern brachten aber eine weitere, bisher stark unterschätzte PCB-Quelle in die Schlagzeilen: alte Gebäude. Die Sorge gilt vor allem Betonbauten aus den Jahren 1955 bis 1975, weil in jener Zeit die meisten PCB-haltigen Dichtungen verwendet wurden. Auch alte Stahlbauten wecken mit ihren PCB-haltigen Rostschutzmitteln Unbehagen. Solche Gebäude lassen eine Belastung der Innenraumluft durch PCB vermuten
Nahrungsketten mit Rostschutzgarantie
Wie alle fettlöslichen Gifte reichert sich PCB in Säugetieren, Vögeln und Fischen mit jedem Glied in der Nahrungskette an. Der Mensch und alle anderen Tiere, die als Endkonsumenten am oberen Ende der Nahrungskette stehen, weisen daher im Körper zum Teil bedenklich hohe PCB-Konzentrationen auf. Infolge von Hunger oder Unterkühlung kann PCB aus dem Fettgewebe in die Blutbahn gelangen oder es wird über die Muttermilch an das Kleinkind weiter gegeben.
PCB gelangt auch über die Raum- oder Aussenluft in unseren Körper. Im allgemeinen ist aber der Luftpfad gegenüber dem Nahrungspfad eher unbedeutend. Ausnahmen bilden allerdings Gebäude mit stark PCB-haltigen Dichtungsmassen, Rostschutzmitteln oder Anstrichfarben. Diese „dünsten“ noch immer PCB in nicht zu vernachlässigenden Mengen in die Raumluft aus.
Die Wirkungen von PCB: so universell wie seine Einsatzmöglichkeiten
Wenn PCB so giftig ist – warum hat man das nicht früher gemerkt, nämlich bevor es in der ganzen Welt produziert und eingesetzt wurde? Erstens wurden Stoffe in früheren Zeiten fast ausschliesslich auf Toxizität gegenüber dem Menschen beurteilt; die Schädlichkeit neuer Stoffe gegenüber Tieren und Pflanzen unserer natürlichen Umgebung, ihr Einfluss auf die Stabilität von Ökosystemen und ihre Persistenz in der Umwelt kam dabei kaum in Betracht (hier sei noch erwähnt, dass nicht-stoffliche Umweltbelastungen, wie Elektrosmog, Lärm oder starke Lichtquellen, noch heute ausschliesslich nach Schäden gegenüber dem Menschen beurteilt werden. Tiere und Ökosysteme gelten hier noch immer als vernachlässigbar).
Zum zweiten hat PCB eine geringe akute Toxizität: PCB wirkt vor allem nach mehrmaliger Exposition von höheren Konzentrationen schädlich, ist also chronisch toxisch. Nach langjähriger gewerblicher Exposition, zum Beispiel in der Transformatoren-Produktion, kann sich die Haut verhärten und eine akneähnliche Erscheinung erhalten. Auch die Pigmentierung kann gestört sein.
Weitere Folgen von PCB-Expositionen sind Augenentzündungen, Mattigkeit, Übelkeit, Kopf- und Gliederschmerzen, Störungen des Immunsystems sowie Veränderungen der Schilddrüse und der Milz. Diese Erscheinungen sind allerdings selten die Folge von reinen PCB-Vergiftungen, sondern eher von PCB-Gemischen mit anderen Schadstoffen verursacht worden.
Reine PCB-Vergiftungen kennt man praktisch nur aus Tierversuchen. Sie nähren den Verdacht, dass PCB Haut-, Leber-, Lungen- oder Magen- Darmkrebs auslösen kann. PCB durchdringt zwar die Gebärmutter, aber ein Zusammenhang zwischen der PCB-Konzentration im Fettgewebe und die Häufigkeit von Tumoren bei Kindern konnte bisher nicht belegt werden. Es besteht noch ein grosser Forschungsbedarf, insbesondere bei der Frage, ob PCB mit pränatalen und nervlichen Schädigungen einher geht. Dadurch würden auch die geistigen und sexuellen Entwicklungs- und Verhaltensstörungen von Kleinkindern im stark PCB-belasteten Great Lake District (USA) hinreichender erklärt.
Sind die Geister, die wir riefen, noch zu bannen?
Mit dem Verbot von PCB konnte zumindest in den Industrieländern der Eintrag des Umweltgiftes unterbunden werden. Aber – einmal losgelassen – lässt sich PCB nicht mehr so einfach wieder zurück holen. Heute und in den nächsten Jahrzehnten nimmt der Mensch regelmässig PCB über Nahrung und Luft auf.
Wir essen jeden Tag maximal 3 bis 4 millionstel Gramm polychlorierter Biphenyle in Fleisch, Fisch oder in Milchprodukten. Nach Empfehlungen von nationalen und internationalen Gremien sind, selbst bei lebenslanger Aufnahme, 20- bis 30-fach höhere Mengen erforderlich, um zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu führen. Echte Vergiftungs- erscheinungen treten sogar erst dann auf, wenn die tägliche Aufnahme nochmals um das hundertfache gesteigert würde. Der Verzicht auf Meeresfrüchte, Fisch oder Wurzelgemüse hat daher kaum Einfluss auf die Belastung durch PCB.
In stark belasteten Gebäuden hingegen erreicht die PCB-Konzentration in der Innenraumluft Werte, bei welchen insbesondere bei Kindern gesundheitliche Schädigungen nicht mehr ausgeschlossen werden können. Als erste Gegenmassnahme bietet sich natürlich eine regelmässige Durchlüftung der Räumlichkeiten an. Aber in der kalten Jahreszeit wäre diese Massnahme angesichts der kursierenden Grippe- und Erkältungserreger eher kontraproduktiv. Unmittelbare Abhilfe schafft auch die Abdeckung von Fugen und Dichtungen, um PCB-Belastungen durch Inhalation und Hautkontakt einzudämmen.
Nicht zu empfehlen sind die Entfernung von PCB-haltigen Materialien durch Abfackeln oder sonstige Erhitzung, da auf diese Weise giftige Dioxine und Furane entstehen. Auch Sandstrahler können die Kontamination kurzfristig steigern, indem sie Giftstaub erzeugen. Die einzige langfristig wirksame und effizienteste Massnahme ist eine professionell durchgeführte Entfernung aller PCB-haltigen Gegenstände und Substanzen mit anschliessender sachgerechter Entsorgung.