Nach althergebrachten abendländischen Vorstellungen beruhten Krankheiten auf der falsche Zusammensetzung der Körpersäfte. Auch Hippokrates vertrat diese Ansicht und ging davon aus, dass ein kranker Körper durch Ableitung oder Ausscheidung der „üblen Säfte“ gereinigt und der Mensch dadurch von Krankheit befreit wird. Ob über Mund oder Haut, Darm oder Blut – um die „üblen Säfte“ aus dem Körper auszuleiten, wurden ganz unterschiedliche Techniken angewandt. Zu den bekanntesten ausleitenden Verfahren zählen wohl der sogenannte „Aderlass“, das Schröpfen und die Behandlung mit Blutegeln.
Heute weiß man, dass der Effekt ausleitender Verfahren auf ganz andere Wirkungsmechanismen zurückzuführen ist. Dabei handelt es sich quasi um unspezifische Reiztherapien, bei denen äußere Hautreize auf innere Organe einwirken. Dadurch werden Organfunktionen angeregt sowie das Immunsystem stimuliert. Den Organen wird dabei Blut zugeführt und nicht – wie ursprünglich angenommen – entzogen.
Der Aderlass
Bis ins 18. Jahrhundert wurden Patienten bei allen möglichen Beschwerden „zur Ader gelassen“. Mit diesem Verfahren sollten kranke Organe entlastet oder der Körper von krankmachenden Giften befreit werden. Die moderne Medizin hat diese Methode sehr stark eingeschränkt und setzt sie nur noch in sehr seltenen Fällen ein.
Dem Patienten werden pro Behandlung zwischen 50 und 500 ml Blut entnommen. Dieser Vorgang dauert ca. 15 bis 30 Minuten und sollte unbedingt im Liegen erfolgen. Danach erhält der Patient in gleicher Menge eine Infusion mit physiologischer Kochsalzlösung. Wichtig ist, dass vor dem Aderlass der Blutdruck des Patienten überprüft wird und der Patient nach der Behandlung noch etwa 15 – 30 Minuten ruht und viel Flüssigkeit zu sich nimmt. In der Regel übernehmen die Krankenkassen die Kosten für den Aderlass.
Bei welchen Leiden hilft ein Aderlass?
Normalerweise wird der Aderlass nur bei zwei seltenen Blutkrankheiten medizinisch eingesetzt, nämlich der Polyzythämie, bei der die roten Blutkörperchen in Überzahl vorhanden sind und der sogenannten Eisenspeicherkrankheit. Für diese Erkrankungen gibt es bislang noch keine anderen wirksamen Therapien.
Manche Therapeuten setzen den Aderlass aber auch bei Bluthochdruck und Durchblutungsstörungen ein. Bei akuten Entzündungen soll der Aderlass entzündungshemmend wirken. Die Wirksamkeit dieser Anwendungen ist allerdings umstritten.
Gibt es beim Aderlass Risiken?
Ein Aderlass kann zu Schwindelanfällen oder zu einer vorübergehenden Kreislaufschwäche führen. Wird ein Patient zu häufig „zur Ader gelassen“, wird der Körper unnötig geschwächt. Manche Therapeuten geben außerdem nach dem Aderlass per Infusion einen sogenannten Plasmaersatz. Dieser kann einen schweren allergischen Schock auslösen.
Es gibt eine Reihe von Beschwerden oder Krankheiten, bei denen die Patienten nicht zur Ader gelassen werden sollten: Dazu gehören Herz-Rhythmus-Störungen, Kreislaufschwäche, niedriger Blutdruck, Durchfall, allgemeine Abgeschlagenheit, Blutarmut, Durchblutungsstörungen im Gehirn und Blutgerinnungsstörungen. Auch während der Menstruation sollte man auf diese Behandlung verzichten.
Das Schröpfen
Schröpfen ist eine Jahrtausend alte Heilmethode, die in den verschiedensten Kulturkreisen eingesetzt wurde. Sie wurde aber vor allem in den indischen und südamerikanischen Kulturkreisen beschrieben. Im klassischen Griechenland symbolisierte die Schröpfglocke sogar den Ärztestand. Bei diesem Verfahren werden mehrere Schröpfglocken auf den Rücken des Patienten plaziert. Dadurch sollen vor allem die sogenannten „Krankheiten der Leere“ geheilt werden, die durch eine blasse, kalte und schlecht durchblutete Haut charakterisiert sind.
Bei welchen Leiden hilft das Schröpfen?
Schröpfen wird vorwiegend bei Durchblutungsstörungen, Verhärtungen in der Haut und im Unterhautfettgewebe, Muskelschmerzen, Verspannungen, chronischem Kopfweh, Rückenschmerzen, rheumatischen Beschwerden, Asthma, Tuberkulose und Ohrenklingeln (Tinnitus) angewendet.
Zunächst wird die Haut des Patienten, der während der Behandlung auf dem Bauch liegt, mit Hilfe von Rotlicht erwärmt. Dann werden auf bestimmte Reflexzonen des Rückens etwa 6 bis 10 Schröpfglocken platziert. Zuvor hat der Therapeut in den Schröpfglocken ein Vakuum erzeugt. Dies geschieht meist mit einem Feuerzeug oder durch das Verbrennen eines benzingetränkten Wattebausches. Sobald die Schröpfglocken auf die Haut aufgesetzt werden, entsteht eine Sogwirkung. Der Effekt: feine Blutkapillaren erweitern sich und es entstehen bereits nach wenigen Minuten blaue Flecken. Nach längerer Zeit bilden sich auf der Haut sogar Blasen.
Therapie mit Blutegeln
Medizinische Blutegel sind Ringelwürmer, die normalerweise im Süßwasser leben. Da ihr Speichel die blutgerinnungshemmende Sustanz Hirudin enthält, werden sie schon seit Jahrhunderten für die Behandlung von verschiedenen Leiden eingesetzt. Das Hirudin, das über die Saugwunde in das Blut des Patienten gelangt wirkt blutgerinnungs- und entzündungshemmend. Außerdem soll es eine antibakterielle Wirkung haben.
Bei welchen Leiden werden Blutegel eingesetzt?
Befürworter dieser Methode empfehlen die Egeltherapie bei Venenentzündungen mit Thrombosen, Stauungen in Venen und Lymphgefässen, rheumatischen Entzündungen, Abszessen und Furunkeln, Migräne und Nebenhöhlenentzündungen.
Die Behandlung mit Blutegeln bei diesen Erkrankungen ist eigentlich nur empfehlenswert, wenn andere Behandlungsmöglichkeiten bislang zu keinem Erfolg geführt haben.
Für die Behandlung werden die medizinisch sterilen Blutegel mit dem Kopfende auf die entsprechende Hautstelle gesetzt, die zuvor mit einem Skalpell leicht eingeritzt wurde. Das Tier saugt sich mit seinen drei Kiefern, die mit scharfen Zähnchen besetzt sind, sofort fest. Das Hirudin, dass dabei freigesetzt wird, macht das Blut an der Saugwunde ungerinnbar. Nach etwa einer Stunde fallen sie von alleine ab. Bis dahin haben sie dem Patienten rund 8 bis 10 Milliliter Blut abgesaugt. Lösen sich Blutegel nicht ab, werden sie mit Salz bestreut, damit die Tiere absterben. Die Entsorgung der Tierchen erfolgt in der Apotheke.
Der Biss erzeugt eine Wunde in Form eines dreistrahligen Sternes. Sie blutet noch etwa 24 Stunde nach. Dadurch gehen weitere 40 Milliliter Blut pro Egel verloren. Pro Behandlung dürfen nur sechs Blutegel gleichzeitig angelegt werden.
Gibt es bei der Behandlung mit Blutegeln Risiken?
Generell können Blutegel während einer Behandlung Krankheitskeime aufnehmen und diese auf andere Patienten übertragen. Um Infektionen zu vermeiden, müssen Blutegel quasi „steril“ sein und dürfen prinzipiell nur einmal angesetzt werden. Um sicher zu gehen, dass die Blutegel erstmalig für eine Behandlung eingesetzt werden, sollte man die Würmer auf alle Fälle aus der Apotheke beziehen.
An den Bissstellen können bei empfindlichen Patienten Allergien auftreten. Vor allem bei Personen, die an einer Blutgerinnungs- störung leiden, besteht die Gefahr einer verlängerten Nachblutung.
Bei Blutarmut, Erschöpfungszuständen sowie an Krampfaderknoten dürfen keine Blutegel gesetzt werden.