Zu wissen, welche Blutgruppe man hat, kann in verschiedenen Lebenslagen von unschätzbarem Nutzen sein. Zum Beispiel bei einer Operation, die eine Bluttransfusion erfordert, oder bei der Bestimmung der Vaterschaft. Sogar für die richtige Ernährung spiele die Blutgruppe eine entscheidende Rolle, meint nun jedoch der amerikanische Arzt und Naturheilpraktiker Peter J. D‘ Adamo. Denn Menschen mit verschiedenen Blutgruppen würden unterschiedlich auf verschiedene Nahrungsmittel reagieren. Rindfleisch zum Beispiel sei für Personen mit der Blutgruppe 0 ein empfehlenswertes Lebensmittel, während es bei Trägern der Blutgruppe A besser nicht auf den Teller kommen sollte. Personen mit der Blutgruppe B dürften dagegen sämtliche Milchprodukte ungestraft genießen, nicht jedoch Tomaten, Muscheln oder Erdnüsse.
Eine lange Verbotsliste gibt es auch für die Blutgruppe AB. Darauf stehen unter anderem Geflügel, Weißfisch, Mais, Buchweizen und Bohnen. D´Adamo führt diese Unterschiede in der Nahrungsverträglichkeit auf die Wirkung so genannter Lektine zurück. Das sind spezielle Eiweißstoffe, von denen einige während der Verdauung in die Blutbahn gelangen und dort gegebenenfalls die Blutzellen verklumpen. „Verzehren Sie also Nahrungsmittel, deren Lektine sich mit Ihrer Blutgruppe nicht vertragen, kann dies die Funktion Ihres Verdauungssystems, Ihren Stoffwechsel und das Immunsystem beeinträchtigen“, warnt D´Adamo in seinem neuesten Buch „4 Blutgruppen – Richtig leben“.
Von Lesern geliebt, von Fachleuten kritisiert
Die deutsche Ausgabe des Buches hat sich in nur sechs Wochen über 30 000 Mal verkauft. In den USA leben bereits mehrere Millionen Menschen nach der Blutgruppen-Diät von D´Adamo, in Deutschland, Österreich und der Schweiz sollen es Hunderttausende sein. Wenig Begeisterung zeigt indes die Deutsche Gesellschaft für Ernährung in Frankfurt am Main. In einer öffentlichen Erklärung kanzelte sie D´Adamos Konzept als „wissenschaftlich unhaltbar“ ab.
Auch der Lektinforscher Gerhard Uhlenbruck, Professor für Immunbiologe an der Universität Köln, bezweifelt den medizinischen Wert der Blutgruppen-Diät: „Wir nehmen mit der Nahrung zwar sehr viele Lektine aus Gemüsen und pflanzlichen Nahrungsbestandteilen auf, aber die haben zu über 90 Prozent nichts mit einer Blutgruppen-Spezifität zu tun.“ Für nicht minder fragwürdig hält er D´Adamos Behauptung, dass viele Nahrungslektine unser Immunsystem zu einer allergischen Reaktion veranlassen würden. Uhlenbruck: „Eine Immunantwort auf Lektine in der Nahrung ist relativ selten und schwach. Es scheint hier so eine Art Immuntoleranz zu geben.“
Sind B-Typen wirklich originell?
Wenn man D´Adamo glauben darf, dann gibt es fast nichts in Körper und Seele, was nicht irgendwie mit der Blutgruppe zusammenhängt. Ja, er geht sogar soweit, Menschen in Bezug auf ihre Persönlichkeitsmerkmale als A-, B-, AB- oder 0-Typen zu klassifizieren. A-Typen seien gefühlsbetont und kooperativ, B-Typen aufgeschlossen und originell. Träger der Blutgruppe AB werden von ihm als leidenschaftlich und vertrauensvoll beschrieben, während er den „Nullern“ starke Führungsqualitäten bescheinigt. Mit wirklich unangenehmen Eigenschaften wird indes keine Blutgruppe belastet. Das könnte ein Grund sein, warum so viele Menschen sich von D’Adamo vortrefflich charakterisiert fühlen. Auf ähnlicher psychologischer Grundlage funktioniert bekanntlich auch die Astrologie: Was unserem Selbstbewusstsein schmeichelt, setzt oft zugleich unsere Kritikfähigkeit herab.
Die Blutgruppe beeinflusst die Virenabwehr
Andererseits, das „Blutgruppen-Horoskop“ enthält tatsächlich eine Reihe von Hinweisen, die medizinisch wertvoll sind. Zwar bezweifeln viele Ärzte, dass die Blutgruppe unser Krebs- oder Herzinfarktrisiko bestimmt, wie D’Adamo schreibt. Doch ein Einfluss des Blutes auf die Abwehr von Viren und Bakterien ist zumindest statistisch belegt. So sind Menschen der Gruppe 0 besonders anfällig für Cholera. Dafür spricht nicht zuletzt die Tatsache, dass in einigen Landstrichen, wie etwa den Städten des Mittelmeerraumes, wo früher häufig die Cholera grassierte, die Blutgruppe 0 vergleichsweise selten vorkommt.
Aber auch bei anderen Infektionskrankheiten – Tuberkulose, Malaria, Typhus, Influenza – sind die Risiken von Blutgruppe zu Blutgruppe verschieden. Die Grippe beispielsweise schlägt mit hoher Wahrscheinlichkeit bei AB-Typen am heftigsten zu, da diese gegenüber allen Influenzaviren die schwächsten Antikörperreaktionen zeigen. Relativ gut geschützt sind A- und B-Typen; sie erkranken seltener und wenn, dann nicht so schwer.
Blutgruppen als Erbe der Evolution
Eingedenk der Tatsache, dass die großen Seuchen das Immunsystem des Menschen nachhaltig beeinflusst haben, ist D´Adamos Resümee durchaus zwingend: „Wir alle tragen in unserem Blut das lebendige Andenken an die Entwicklungsgeschichte des Menschen.“ Ob diese Erkenntnis allerdings zur Begründung der Blutgruppen-Diät taugt, bleibt fraglich. D’Adamo zumindest zweifelt nicht daran, dass die verschiedenen Blutgruppen zu unterschiedlichen Zeiten in der Evolution entstanden sind, sozusagen als Anpassung an veränderte Lebensbedingungen. Daher sollten wir nur das essen, was typisch für die Zeit war, in der die eigene Blutgruppe sich herausgebildet hat. Die Blutgruppe 0 trugen nach dieser Theorie zuerst frühgeschichtliche Jäger, die mit Vorliebe Fleisch verzehrten.
Dagegen sollen die Träger der Blutgruppe A ursprünglich Landwirte gewesen sein, die sich hauptsächlich vegetarisch ernährten. Den B-Typen unterstellt D’Adamo eine Vergangenheit als Nomaden, auf deren Speiseplan zahlreiche Milchprodukte standen. Lediglich für Menschen mit der Blutgruppe AB findet er keine historischen Vorläufer, so dass er ihnen eine Mischkost aus A und B empfiehlt. Diese Gliederung erscheint nicht nur willkürlich, sie verstößt auch gegen das Grundprinzip einer gesunden Lebensführung: Ernähre dich niemals einseitig! „D´Adamo rät von ganzen Nahrungsgruppen ab. Die zu ersetzen ist sehr schwer“, betont Franziska Uhlmann von der Schweizerischen Vereinigung für Ernährung.
Mehr Gesundes auf dem Teller
Betroffen davon wären vor allem Menschen der Blutgruppe A, die in Mitteleuropa fast die Hälfte der Gesamtbevölkerung ausmachen. Sie müssten konsequenterweise nicht nur auf Fleisch, sondern auch auf Milchprodukte, Weizenmehl, Kartoffeln, Kohl, Bananen und Tomaten verzichten. Doch ungeachtet aller Kritik, die Wissenschaftler an der Blutgruppen-Diät üben, haben D´Adamos Bücher eine lebendige Debatte in der Ernährungsforschung angeregt. Und sie haben eine Vielzahl von Menschen dazu gebracht, ihren Speiseplan bewusster zu gestalten und alles in allem mehr Obst und Gemüse zu essen.