Gestalttherapie (GS)

Gestalttherapie (GS) Begriff

Die Gestalttherapie ist ein psychologisches Verfahren, das sowohl gesprächsorientiert, als auch darstellend-kreativ und körperorientiert ist.

  • Unterformen: Integrative Therapie; Integrative Gestalttherapie; Analytische Gestalttherapie; Gestaltberatung.
  • Verwandte Begriffe und Verfahren: Humanistische Psychotherapie; Erlebnistherapie; Psychodrama; Integrative Bewegungstherapie.

Geschichte

Die Gestalttherapie wurde ab den 40er Jahren von der Psychologin Laura Perls, dem Psychiater Fritz Perls und dem Sozialphilosophen Paul Goodman in Abgrenzung zur Psychoanalyse Freuds entwickelt – sie wird zu den Humanistischen Therapieverfahren gezählt. Sie basiert auf Einflüssen der Tiefenpsychologie, der Existenzphilosophie, der Gestaltpsychologie, des Psychodramas, der Zen-Meditation und der Gruppendynamik. Anfang der 50er Jahre wurde die Gestalttherapie in den USA durch erste Veröffentlichungen und Institutsgründungen bekannter.

Später bildeten sich zwei unterschiedliche Schulen heraus: Während Fritz Perls in Kalifornien den sogenannten „Westküstenstil“ (Selbsterfahrung für gesunde, belastbare Personen) prägte, entwickelten Laura Perls und Paul Goodman an der Ostküste der USA eine auf die Behandlung psychischer Störungen ausgerichtete Variante der Gestalttherapie. Seit den 70er Jahren wird die Gestalttherapie auch in der BRD angewandt und gehört hier inzwischen zu den am häufigsten vertretenen Therapieverfahren. Es gibt heute sehr viele verschiedene Ausprägungen der Gestalttherapie.

Ziele

Je nach gestalttherapeutischer Unterform ist das Verfahren mehr oder weniger auf die Behandlung psychischer Störungen ausgerichtet. Für alle Unterformen gelten folgende Ziele: Persönlichkeitswachstum; Selbsterfahrung; Zunahme von Selbstverantwortung für das eigene Leben; Wiederherstellung der Selbstregulation und Selbstverwirklichung des Organismus; Entdeckung und Wiederaneignung verlorengegangener oder gehemmter Persönlichkeitsanteile; Aufhebung von Blockierungen; Kreativitätssteigerung; Erhöhung der Kontaktfähigkeit.
Zielgruppen: für alle Altersgruppen.

Vorgehensweise

Gestalttherapie wird als Einzel-, Gruppen-, Paar- und Familientherapie angeboten. Die aktuellen Erfahrungen und Gefühle der KlientInnen stehen im Vordergrund (Konzentration auf das „Hier und Jetzt“). Dabei wird viel Aufmerksamkeit auf die Körperwahrnehmung gelegt; so werden KlientInnen auf Widersprüche zwischen ihrem körperlichen und sprachlichen Verhalten hingewiesen. GestalttherapeutInnen schlagen verschiedene spielerische oder kreative Methoden – auch aus anderen Therapierichtungen – vor, damit die KlientInnen Gefühle, Konflikte oder Erlebnisse in der Therapiesituation ausdrücken und vergegenwärtigen können.

Häufig angewandte Techniken sind z.B.: Dialog mit abgelehnten Persönlichkeitsanteilen oder vorgestellten Personen, die auf den „leeren Stuhl“ gesetzt werden; Rollenspiel; Identifikation mit Traumfiguren/Traumgegenständen; geleitete Phantasien; Übertreibung; Konfrontation; sprachliche Umformungen (z.B. „ich will nicht“ statt „ich kann nicht“). Es können auch Verhaltensexperimente durchgeführt werden, in denen die KlientInnen sich auf neue Art erleben können. Hausaufgaben sollen dazu dienen, daß Erfahrungen aus der Therapie auf den Alltag übertragen werden. In der Gestalttherapie kann eine Vielfalt an Medien eingesetzt werden: Farben, Ton, Collagen, Masken, Puppen, Bewegung, Musik, Poesie.

Es hängt vom jeweiligen Therapieverlauf und der jeweils spezifischen TherapeutIn-KlientIn-Beziehung ab, welche Methoden/Medien zu welchem Zeitpunkt eingesetzt werden. Die GestalttherapeutIn hat die Aufgabe, die KlientIn als ganze Person zu akzeptieren und eine Balance zwischen emotionaler Unterstützung und Konfrontation/Frustration der KlientIn zu finden.

Theorie

Die Theorie hat eine gestaltpsychologische Grundlage, wobei Körper, Seele und Geist als Ganzheit begriffen werden. Psychische Gesundheit bedeutet in der Theorie der Gestalttherapie die Fähigkeit zu kreativer Anpassung, zu lebenslangem Wachstum und Reifung in lebendigem Austausch („Kontakt“) mit der Umwelt. Psychische Störungen sollen ihre Ursache darin haben, daß dieses Wachstum gehemmt ist – der Kontakt mit Teilen der eigenen Person und/oder der Umwelt wird vermieden. Je nach Ausmaß der psychischen Störung werden diese Anteile entweder gar nicht erst wahrgenommen oder zwar wahrgenommen, aber bewußt abgelehnt. Psychische Gesundheit soll erreicht werden, indem diese unerwünschten Anteile wahrgenommen, in der Therapiesituation intensiv erlebt und schließlich akzeptiert werden.

Ethische Unbedenklichkeit

Ziele und Vorgehensweisen widersprechen nicht humanen Grundsätzen.
Zentrales Ziel ist die Steigerung der Selbstverantwortlichkeit und Autonomie der KlientInnen. Die Gestalttherapie hat traditionell eine sozialkritische Komponente. Dabei wurde immer wieder thematisiert, welche Schäden eine restriktive Gesellschaft den Individuen zufügen kann.

Erprobtheit & Risiken

Es gibt unseres Wissens keine spezifischen Risikostudien. Von daher können über Gefahren, Risiken und Gegenanzeigen keine zuverlässigen Aussagen gemacht werden. Hinsichtlich möglicher Risiken ist das Verfahren unserer Einschätzung nach nicht ausreichend erprobt.

Wirksamkeit

Es gibt nur wenige kontrolliert wissenschaftliche Untersuchungen, die eine Wirksamkeit bei Personen mit psychischen Störungen belegen. Es können kaum gesicherte Aussagen zur Wirkung bei verschiedenen Störungs- und/oder Personengruppen gemacht werden. Hospitalisierte schizophrene PatientInnen besserten sich allerdings in einer Untersuchung nach einer Gestaltgruppentherapie im Vergleich zu einer Kontrollgruppe (Routinebehandlung) bedeutsam. Die Wirksamkeit der Gestalttherapie ist zur Zeit noch nicht ausreichend nachgewiesen.

Zahlreiche nicht-kontrollierte Studien zur Wirksamkeit bei Gesunden, bei Menschen mit Lebenskonflikten und bei Personen mit psychischen Störungen deuten jedoch auf ein breites Wirkungsspektrum der Gestalttherapie hinsichtlich der oben angegebenen Ziele hin.

Zusammenfassung

Ethisch vertretbar. Nicht ausreichend erprobt. Noch ohne ausreichenden Wirkungsnachweis. Mit geregelten, auch heilkundlichen Ausbildungsgängen.

Verwendete Literatur

  • 1040 DINSLAGE, A. (1990): Gestalttherapie – Mannheim (PAL)
  • 1043 PETZOLD, HILARION G. (1985): Die klassische Gestalttherapie; Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz (Kohlhammer); in: TOMAN, WALTER – EGG, RUDOLF (Hrsg.), Psychotherapie. Ein Handbuch. Bd. 1, S.178-200
  • 1045 BÜNTE-LUDWIG, CHRISTIANE (1984): Gestalttherapie – Integrative Therapie – Paderborn (Junfermann); in: PETZOLD, HILARION (Hrsg.), Wege zum Menschen. Methoden und Persönlichkeiten moderner Psychotherapie. Ein Handbuch. Bd. 1, S.217-307
  • 1046 HARTMANN-KOTTEK-SCHROEDER, LOTTE (1983): Gestalttherapie; Weinheim, Basel (Beltz); in: CORSINI, RAYMOND J. (Hrsg.), Handbuch der Psychotherapie. Bd. 1, S.281-320
  • 1048 KOGAN, GERD (1989): Gestalttherapie; München (Heyne); in: SCHWERTFEGER, BÄRBEL – KOCH, KLAUS (Hrsg.), Der Therapieführer, S.108-113
  • 1049 BEAUMONT, HUNTER (1987): Gestalttherapie ist mehr als Fritz Perls; Weinheim, Basel (Beltz); in: REDAKTION PSYCHOLOGIE HEUTE (Hrsg.), Welche Therapie?, S.73-89
  • 1212 GRAWE, KLAUS – DONATI, RUTH – BERNAUER, FRIEDERIKE (1994): Gestalttherapie; Göttingen, Bern, Toronto, Seat (Hogrefe); in: GRAWE, KLAUS – DONATI, RUTH – BERNAUER, FRIEDERIKE (Hrsg.), Psychotherapie im Wandel. Von der Konfession zur Profession, S.111-118