Der Muskelschwund ist eine erblich bedingte Erkrankung. Die beiden häufigsten Muskelschwund-Erkrankungen sind die Duchenne- sowie die Becker-Kiene-Muskeldystrophien. Sie werden rezessiv, d.h. von einer Generation auf die übernächste Generation über das X-Chromosom vererbt. Statistisch gesehen ist jeder 3.500-te Junge von der Duchenne- und jeder 30.000-te Junge von der Becker-Kiene-Muskeldystrophie betroffen. Frauen erkranken sehr selten, da sie durch das zweite X-Geschlechtschromosom (im Gegensatz zum Y-Chromosom des Mannes) die rezessive Genveränderung ausgleichen können.
Charakteristisch für Betroffene sind zunehmend schwache Muskeln, die sich im Laufe der Jahre immer mehr verkürzen. Der Grund liegt darin, dass der Körper das Muskelprotein Dystrophin nicht mehr bildet. Erste Symptome zeigen sich bei der Duchenne-Form schon im Alter von drei Jahren, bei der Becker-Kiene-Form im Alter von etwa zehn Jahren. Ungeschickte Bewegungen und verkürzte Muskeln – sogenannte Kontrakturen – fallen auf. Schliesslich können die Gelenke nicht mehr voll gestreckt werden: Der Rollstuhl ist dann schon im Alter von zehn (Duchenne) oder 16 Jahren (Becker-Kiene) nötig. Die Lebenserwartung liegt für Duchenne-Kranke bei 20 Jahren und für Becker-Kiene-Kranke bei etwa 50 Jahren.
Ursache & Risikofaktoren
Sowohl die Duchenne- als auch die Becker-Kiene-Dystrophie sind erblich bedingt. Eine Veränderung auf dem X-Geschlechts-Chromosom bewirkt, dass das Muskelprotein Dystrophin nicht mehr gebildet werden kann. Bei etwa 30 Prozent der Betroffenen – so schätzen Experten – handelt es sich um Neumutationen. In diesen Fällen sind weder Vater noch Mutter Überträger des veränderten Gens. Frauen erkranken enorm selten, da die Genveränderung rezessiv auf dem Geschlechtschromosom X weitergegeben wird.
Das ist bei Frauen – im Gegensatz zu Männern mit einem X- und einem Y-Chromosom – doppelt vorhanden. Der Vorteil: Das zweite X-Chromosom gleicht rezessive Genveränderungen auf dem X-Chromosom in der Regel aus. Die betreffende Frau kann Duchenne- oder Becker-Kiene-Dystrophien zwar weitervererben, erkrankt aber nicht selbst daran.
Krankheitsbild
Duchenne-Dystrophie
Bis zum dritten Lebensjahr entwickelt sich das Kind in der Regel normal. Eventuell beginnt es später als andere mit dem Laufen. In der weiteren Entwicklung zeigt sich, dass sich betroffene Kinder ungeschickt und unbeholfen bewegen: Sie fallen oft hin, haben Schierigkeiten beim Aufstehen – „klettern am eigenen Körper hoch“ – , gehen wackelig und kommen nur schwer Treppen hinauf. Die Haltung ist auffällig: Der Bauch ist vorgewölbt, die Wirbelsäule ist nach vorne gebogen (Hyperlordose). Es bildet sich oft ein Plattfuß, der zusätzlich nach Innen einknickt.
Die Knie knicken nach Innen ein, sie befinden sich in der sogenannten Valgusstellung. Muskeln wachsen, gewinnen aber nicht an Kraft. Diese sogenannten Pseudohypertrophien betreffen die Muskulatur in den Waden, am Gesäß und im Schultergürtel. Später ziehen sich einige Muskeln wie beispielsweise die Wadenmuskeln oder Hüft- und Ellenbogenbeuger zusammen. Sie verkürzen sich. Ärzte sprechen hier von Kontraktur. Zuletzt bildet sich aufgrund der geringen Kraft der Rückenmuskulatur eine Skoliose aus. Die Wirbelsäule verläuft von hinten betrachtet nicht – wie normal – gerade, sondern ist in einzelnen Abschnitten gebogen.
Becker-Kiener-Dystrophie
Gewöhnlich tritt diese Muskeldystrophie-Form später auf – zwischen dem fünften und dem 20-ten Lebensjahr. Die Krankheitszeichen ähneln der von Duchenne-Patienten, allerdings verläuft die Krankheit langsamer. So findet man bei 80 Prozent der Betroffenen Pseudohypertrophien (Vermehrung des Binde- und Fettgewebes auf Kosten der untergegangenen Muskulatur) der Wadenmuskulatur. Zunächst werden Becken- und Oberschenkelmuskeln auffällig schwächer, dann kommt es zu leichten Lähmungserscheinungen – Schulter-, Arm- und Halsmuskeln sind dann nicht mehr so sensibel und beweglich wie zuvor.
Auswirkungen & Folgen
Duchenne-Dystrophie
Im fortgeschrittenen Stadium – das kann bei Duchenne-Kranken schon im frühen Jugendalter erreicht sein – fehlen die Muskelreflexe. Auch der Muskel, der das Blut ständig in den Körper pumpt, das Herz, ist von der Erkrankung erfasst. Das Elektrokardiogramm (EKG) zeigt Unregelmäßigkeiten: Der Sinusknoten – der Taktgeber des Herzens – gibt seine Impulse langsamer als gewöhnlich an das Herzgewebe ab, das Herz schlägt unregelmäßig. Die linke Kammer – von hier aus wird das Blut ständig in den Körperkreislauf geschickt – wird schwächer. Schliesslich ist die Herzleistung stark herabgesetzt, die Versorgung des Körpers nicht mehr gewährleistet. Schon bis zum 15 Lebensjahr leidet auch die Lunge. Sie ist in ihrer Leistungsfähigkeit gemindert – die sogenannte Vitalkapazität (also das maximale Atemvolumen) sinkt.
Becker-Kiener-Dystrophie
In abgeschwächter Form zeigen sich die Symptome des fortgeschrittenen Stadium von Duchenne-Kranken auch bei Patienten, die an der Becker-Kiene-Dystrophie leiden. Die Muskeleigenreflexe sind schwach oder fehlen. Über Dauerverkürzungen (Kontrakturen) in den Wadenmuskeln klagen fast alle Patienten. Hingegen ist das Herz zunächst nur bei jedem zweiten Patienten von der Erkrankung mitbetroffen. Im Alter von 25 bis 30 Jahren muss der Patient damit rechnen, einen Rollstuhl zu benötigen. Die Lebenserwartung liegt mit etwa 50 Jahren erheblich höher als die von Duchenne-Kranken. Komplikation mit dem Herzen oder der Lunge gelten als häufigste Todesursachen.
Erkennung & Untersuchungen
Im Blut zeigt sich eine besonders hohe Konzentration des Enzyms Kreatinkinase. Das für die Energiegewinnung der Muskelzellen unbedingt nötige Enzym entweicht aus den Muskelzellen und ist dann im Blut zu finden. Die Leistungsfähigkeit der Muskeln ist deshalb herabgesetzt.
Mittels Elektroden, die auf den betreffenden Muskel aufgesetzt werden, lässt sich die Aktivität der Muskelzellen messen. Diese Elektromyographie (EMG) genannte Technik offenbart, dass die Aktionspotentiale kürzer sind als normal. Die Folge: Die Kraft, die sich im erregten Muskel entwickeln kann, ist entsprechend geringer.
Eine Biopsie – das ist eine Gewebeprobe – zeigt, dass die meisten Muskelzellen kaum noch das Eiweiss Dystrophin enthalten. Die Muskelzellen können ihre ursprüngliche Funktion nicht mehr erfüllen und werden immer mehr abgebaut. Einzelne Abschnitte im Muskel sterben ab, andere durchwachsen mit Binde- und Fettgewebe. Mit modernen bildgebenden Techniken (wie Tomographien und Ultraschall) lassen sich diese Muskelgewebsstrukturen sehr genau erkennen.
Ist die Muskeldystrophie schon einmal in der Familie aufgetreten, lässt sich per Gentest ermitteln, wie hoch die Wahrscheinlichkeit eines solchen Gentefekts für eventuelle Nachkommen ist. Die entsprechende Genmutation für die beiden Dystrophiearten wurde inzwischen gefunden – sie befindet sich auf dem kurzen Arm des X-Chromosoms die Region ‘p21′.
Therapie & Behandlung
Weder die Duchenne- noch die Becker-Kiene-Dystrophie sind heilbar, doch gibt es eine Reihe von unterstützenden Konzepten, deren Ziel es ist, die die Selbständigkeit Betroffener solange wie möglich zu erhalten. Die Duchenne-Dystrophie schreitet in der Regel schneller vor als die Becker-Kiene-Dystrophie, doch ähneln sich die therapeutischen Ansätze für beide Krankheitsformen im jeweiligen Stadium:
Leichte Muskelschwächen und Bewegungseinschränkungen
Das betroffene Kind sollte möglichst früh einmal pro Monat zu einem Krankengymnasten gehen. Der überprüft dann die Bewegungsfähigkeit der Gelenke. Sind ‘Überstreckungsverluste‘ der Fuß-, Knie- oder Hüftgelenke zu beklagen, sollte das Kind schon bei einem Alter von vier Jahren zur Operation ins Krankenhaus geschickt werden. Dort wird die Beweglichkeit der Gelenke wiederhergestellt. Nur unter dieser Voraussetzung sind krankengymnastische Übungen sinnvoll. Diese sollten aus einem Mix aus Muskelkräftigung und -dehnung, Gehtraining und Atemtherapie bestehen.
Zunehmende Muskelschwäche und Dauerverkürzungen der Muskeln
Kräftigende Übungen sollten als Spiele in den Tagesalltag eingebunden werden. Der Krankengymnast überprüft alle zwei Wochen die Beweglichkeit der Muskeln. Treten neue Kontrakturen in Muskeln und Sehnen auf, sollten diese täglich gedehnt werden. Die Einzeldehnungen der Achillessehne oder des Kniebeugers sollten etwa zehn Sekunden dauern und zehn bis 15 Mal wiederholt werden. Sogenannte Orthesen können als äussere Stütze zur Stabilisierung von Gelenken wie beispielsweise dem Knie beitragen. Um Betroffenen so lange wie möglich das Tragen von Konfektionsschuhen zu ermöglichen, ist manchmal eine operative Korrektur des Vorderfußes nötig, der durch Muskelverkürzungen nach innen eingerollt ist. Dieser Eingriff kann mit Operationen an anderen Gelenken kombiniert werden.
Erschwerte Gehfähigkeit
Die Krankengymnastik wird erweitert: Dehnungen der Armmuskeln ergänzen bisherige Übungen zur Kräftigung und Dehnung insbesondere der Sprung-, Knie- und Hüftgelenke. Im Fokus nun: Der Ellenbogen sowie Hand- und Fingergelenke. Zusätzlich kann mit Ventilationsübungen zur Stärkung der Atmung begonnen werden.
Beinorthesen und die Behandlung von Kontrakturen (operativ wie krankengymnastisch) erhalten die Gehfähigkeit des Patienten so lange wie möglich. Das ist wichtig, da sonst Erkrankungen wie Dekubitus, Ischialgien oder etwa Duchblutungsstörungen drohen.
Rollstuhlphase
Hier stehen insbesondere die Wirbelsäule sowie die Lunge in der Behandlung im Vordergrund. Die Wirbelsäule ist aufgrund der Muskelschwäche verkrümmt, es bildet sich eine Skoliose aus. Ist diese fortschreitend und ist der Skioliosewinkel schon über 20 Grad groß, muss die Wirbelsäule operiert werden.
Eine krankengymnastische Atemtherapie wird nun für die Patienten immer wichtiger. Denn die Ventilationsstörungen nehmen zu und die Vitalkapazität, das ist ein Maß für die Leistungsfähigkeit der Lunge, nimmt immer mehr ab. Später kann eine zeitweise künstlich-apparative Beatmung die Lunge zusätzlich unterstützen.
Vorsorge
Den beiden Erbkrankheiten, der Duchenne- sowie der Becker-Kiene-Dystrophie, kann man nicht vorbeugen. Allerdings hilft ein Mix aus Krankengymnastik, Atemtherapie sowie operativen Eingriffen den Erkrankten, solange wie möglich selbständig zu bleiben.
Häufige Fragen
Mein Sohn leidet an der Duchenne-Muskeldystrophie. Der Arzt hat mir empfohlen, einige Gelenke operieren zu lassen, um deren Bewegungsfähigkeit wiederherzustellen. Ist ein ähnlicher Erfolg nicht auch ausschliesslich durch geeignete Krankengymnastik möglich?
Alle wissenschaftlichen Untersuchungen deuten darauf hin, dass eine Aussicht auf „Wiederherstellung einer vollen Bewegungsfähigkeit“ Wunschdenken ist. Die Entwicklung der Muskelschwäche und der Verkürzungen der Muskulatur lassen sich jedoch alleine durch krankengymnastische Übungen nicht verbessern, es sind sogar Kraft- und Funktionseinbußen zu erwarten. Bei manchen Patienten kann eine gezielte Gelenkoperation sinnvoll sein und durch Krankengymnastik unterstützt werden.
Warum muss operiert werden?
Die Muskeln verkürzen sich. Dagegen kann man nichts tun. Wir nennen das Kontraktur. Die Flexibilität der Muskulatur kommt nicht von alleine zurück und ein Fortschreiten der Kontraktur lässt sich durch Krankengymnastik – wenn überhaupt – verlangsamen.
Wann sollte operiert werden?
Der Schlüssel für eine effektive krankengymnastische Behandlung liegt in möglichst frühen Operationen – möglichst direkt nach dem Auftreten von Kontrakturen (Dauerverkürzung der Muskulatur). Nur unter dieser Voraussetzung ist mit einer wirkungsvollen krankengymnastischen Behandlung zu rechnen.
Wichtige Adressen
Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e.V.
Im Moos 4
Telefon 07665-9447-0
Fax 07665-9447-20
Deutsche Muskelschwund- Hilfe e.V.,
Alstertor 20
20095 Hamburg
Telefon 040 / 32 32 31- 0, Herr Friedrich -11, Frau Bluhm -21, Fax -31,
montags-freitags 9.00 – 16.30 Uhr ,
Email-Adressen:
Friedrich@muskelschwund.de
Bluhm@muskelschwund.de
info@muskelschwund.de
Weserbergland – Klinik
Therapiezentrum für Muskelkranke
Grüne Mühle 90
37671 Höxter
Tel. 05271 / 98-0
Ansprechpartner: Dr. Peter Wehrspann