Begriff
Das Psychodrama ist ein psychologisches Verfahren, das überwiegend darstellend/kreativ und gruppenorientiert ist.
- Verwandte Begriffe und Verfahren: Humanistische Psychotherapie; Gruppendynamik; Soziometrie; Gruppenpsychotherapie; Bibliodrama; Therapeutisches Theater (V. Iljine); Gestalttherapie.
Geschichte
Das Psychodrama wurde von dem Wiener Psychiater Jacob Levy Moreno (1890-1974) ab den 20er Jahren entwickelt. Moreno gilt als Begründer der Gruppenpsychotherapie. Grundlegende Einflüsse waren das kindliche Rollenspiel und das Stegreiftheater. 1925 emigrierte Moreno in die USA, wo er ab den 30er Jahren Psychodrama-Theater und Ausbildungsinstitute gründete. Ab den 50er Jahren wurde das Psychodrama auch in Europa bekannt. 1970 wurde die Sektion Psychodrama im Deutschen Arbeitskreis für Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik (DAGG) und 1974 wurden die ersten Ausbildungsinstitute für Psychodrama in der BRD gegründet.
Seither erfuhr das Psychodrama als gruppentherapeutisches Verfahren eine zunehmende Verbreitung. Das Psychodrama wird in der BRD überwiegend therapeutisch eingesetzt, aber es wird auch für pädagogische (in Heimen, Gefängnissen) und didaktische Zwecke (Fortbildung, Trainings) sowie zur Supervision und Organisationsentwicklung angewendet. Es sind inzwischen neben Morenos klassischem Psychodrama verschiedene Sonderformen (zum Teil sogar mit speziellen Ausbildungsinstituten) entstanden z.B. tiefenpsychologisch fundiertes, verhaltenstherapeutisches und feministisches Psychodrama.
Ziele
Heilung psychischer und psychosomatischer Störungen; Bewußtmachen und Lösen von zwischenmenschlichen und innerseelischen Konflikten; Steigerung von Aktivität, Spontaneität und Kreativität; Erweiterung des Handlungsspielraums; Förderung von sozialen Fähigkeiten.
Zielgruppen
Für alle Altersgruppen; auch für Personen mit geringen sprachlichen Fertigkeiten.
Vorgehensweise
Das Psychodrama ist in erster Linie ein gruppentherapeutisches Verfahren, es wird aber auch als Einzeltherapie (Monodrama), Paar- und Familientherapie eingesetzt. Eine Psychodramagruppe besteht meist aus 8 bis 12 Gruppenmitgliedern, einer LeiterIn und einer AssistentIn. Eine typische Psychodrama-Sitzung umfaßt drei Teilen:
- 1) Die Erwärmungsphase dient der Einstimmung auf die Gruppe und der Suche nach einem Thema oder Problem, das die Gruppe psychodramatisch bearbeiten möchte.
- 2) In der Spielphase wird das Thema auf der Bühne mit Hilfe psychodramatischer Methoden szenisch dargestellt. Die häufigste Form ist das Protagonistenspiel. Hierbei wird das Gruppenmitglied, dessen Problem ausgewählt wurde, zur Hauptperson (ProtagonistIn) und kann andere Gruppenmitglieder als MitspielerInnen bestimmen. Die übrigen Gruppenmitglieder schauen zu. Eine andere Möglichkeit ist, daß die gesamte Gruppe zu einem bestimmten Thema aus dem Stegreif spielt.
- 3) In der Abschlußphase teilen die Gruppenmitglieder der ProtagonistIn eigene Erlebnisse mit, die dem dargestellten Thema oder Konflikt ähneln. Die MitspielerInnen geben Auskunft über ihr Erleben in den einzelnen Rollen. Daneben können die im psychodramatischen Spiel sichtbar gewordenen Beziehungsmuster und unbewußten Konflikte weiter ergründet werden.
Die Psychodrama-TherapeutIn hat die Aufgabe, den Verlauf der Sitzung zu steuern: Sie hilft der Gruppe bei der Auswahl der ProtagonistIn oder des Themas. In der Spielphase begleitet und unterstützt sie die ProtagonistIn bei der Inszenierung ihres persönlichen Problems. Aber auch die Gruppenmitglieder übernehmen füreinander therapeutische Funktionen z.B. wenn sie sich bei der Technik des Doppelns in die ProtagonistIn hineinversetzen und in der Ich-Form aussprechen, was die ProtagonistIn gerade empfinden könnte. Eine andere Technik ist das Spiegeln, wobei ein Gruppenmitglied ein anderes in Körperhaltung und Sprache nachahmt.
Es gibt viele verschiedene psychodramatische Techniken und auch Psychodramaformen, bei denen beispielsweise Märchen, Träume oder Gruppenkonflikte im Spiel dargestellt werden.
Theorie
Psychische Krankheit beruht in der Theorie des Psychodramas auf Störungen in der Spontaneitätsentwicklung und der Rollenentwicklung. Krankheit zeigt sich als Unfähigkeit, angemessen spontan zu handeln. Ursachen psychischer Störungen können fehlende Rollen, Rollenunsicherheit oder Rollenkonflikte sein. In der Therapie soll die krankheitsverursachende Situation im Spiel vergegenwärtigt und im Detail betrachtet werden. Schon das nochmalige Erleben einer belastenden Situation und das Ausleben der dazugehörigen intensiven Gefühle sollen eine erleichternde und heilende Wirkung haben (Katharsis).
Auf der Bühne wird die innere Welt der SpielerInnen konkret, sichtbar, begreifbar und damit auch veränderbar. Im Spiel können z.B. durch Rollentausch Gegensätze integriert und neue Verhaltensmuster gefunden und erprobt werden. Da im Psychodrama direkt gehandelt wird, soll die Umsetzung von neuen Erkenntnissen in Alltagshandeln erleichtert werden. Die Gruppe hat zudem eine therapeutische Wirkung durch das Erleben von Zusammengehörigkeit, das im gemeinsamen Spiel entsteht.
Ethische Unbedenklichkeit
Ziele und Vorgehensweise widersprechen nicht humanen Grundsätzen. Die Psychodrama-LeiterIn/-TherapeutIn hat die Möglichkeit, sich mittels der Techniken des Verfahrens und unter Ausnutzung gruppendynamischer Prozesse in der Gruppe eine extreme Machtposition aufzubauen. Andererseits kann dadurch, daß im Psychodrama auch Gruppenmitglieder füreinander therapeutische Funktionen übernehmen, ein Gegengewicht zur Macht der TherapeutIn entstehen.
Erprobtheit & Risiken
Es gibt unseres Wissens kaum spezifische Risikostudien. Die Befindlichkeit von PsychotikerInnen verschlechterte sich in den ersten drei Monaten der Psychodrama-Behandlung. Hinsichtlich möglicher Risiken ist das Verfahren unserer Einschätzung nach nicht ausreichend erprobt.
In der Literatur wird darauf hingewiesen, daß die effektvollen psychodramatischen Methoden zu einer Überforderung der KlientInnen führen können. Als Kontraindikationen werden genannt: präpsychotische und akut psychotische Zustände, psychosomatische Erkrankungen im akuten Stadium, Selbstmordgefährdung.
Wirksamkeit
Kontrolliert wissenschaftliche Untersuchungen belegen eine positive Wirkung des Psychodramas im Leistungs-, Persönlichkeits- und Beziehungsbereich bei stationär behandelten Personen mit Schizophrenien und hinsichtlich der Befindlichkeit bei AlkoholikerInnen. Neurotische Personen profitieren mehr vom Psychodrama als psychotische. In allen Studien wurde Psychodrama nur ergänzend zur stationären Therapie eingesetzt. Das Psychodrama hatte nur eine geringe Wirkung auf die Hauptsymptome.
In einer wissenschaftlichen Untersuchung wurden bei Studierenden positive Veränderungen hinsichtlich Selbsteinschätzung, Selbstausdruck, psychischer Grundstimmung, Selbstbehauptung, Durchsetzungskraft, Autonomie und körperlichem Befindenbeobachtet. Zahlreiche Untersuchungen belegen die Wirksamkeit des Rollenspiels für Einstellungs- und Verhaltensänderungen. Viele Fallberichte aus unterschiedlichen Praxisfeldern beschreiben positive Wirkungen des Psychodramas hinsichtlich der oben genannten Ziele.
Die Wirksamkeit des Psychodramas ist nachgewiesen für Veränderungen in der Persönlichkeit und im Beziehungsverhalten bei verschiedensten Personengruppen.
Zusammenfassung
Ethisch vertretbar. Nicht ausreichend erprobt. Mit Wirkungsnachweis für Verbesserungen im Persönlichkeits- und Beziehungsbereich bei verschiedenen Personengruppen. Mit geregelten Ausbildungsgängen.
Verwendete Literatur
- 1211 GRAWE, KLAUS – DONATI, RUTH – BERNAUER, FRIEDERIKE (1994): Psychodrama; Göttingen, Bern, Toronto, Seat (Hogrefe); in: GRAWE, KLAUS – DONATI, RUTH – BERNAUER, FRIEDERIKE (Hrsg.), Psychotherapie im Wandel. Von der Konfession zur Profession, S.98-111
- 1226 BADAINES, ARI (JOEL) (1990): Psychodrama; Oldenburg (Transform); in: ROWAN, JOHN – DRYDEN, WINDY (Hrsg.), Neue Entwicklungen der Psychotherapie, S.126-147
- 1255 KRIZ, JÜRGEN (1985): Sonderformen: Logotherapie (Frankl) und Psychodrama (Moreno) – München, Wien, Baltimore (Urban & Schwarzenber); in: KRIZ, JÜRGEN (Hrsg.), Grundkonzepte der Psychotherapie. Eine Einführung, S.219-226
- 1261 KIVITS, TONJA (1993): Das Psychodrama von Jakob Moreno; Düsseldorf, Wien (ECON); in: KIVITS, TONJA (Hrsg.), Handbuch Psychotherapie. Die wichtigsten Therapieformen im Überblick, S.96-101
- 1275 LEUTZ, GRETE ANNA (1989, 2. Aufl.): Psychodrama; München (Heyne); in: SCHWERTFEGER, BÄRBEL – KOCH KLAUS (Hrsg.), Der Therapieführer. Die wichtigsten Formen und Methoden, S.123-129
- 1290 HÖRMANN, GEORG – LANGER, KLAUS (1987): Psychodrama; Reinbek bei Hamburh (Rowohlt); in: ZYGOWSKI, HANS (Hrsg.), Psychotherapie und Gesellschaft. Therapeutische Schulen in der Kritik, S.182-204
- 1329 LEUTZ, GRETE A. – ENGELKE, ERNST (1983): Psychodrama; München, Weinheim (Psychologie Verlags Union); in: CORSINI (Hrsg.), Handbuch der Psychotherapie, Bd. 2, S.1008-10031