Grundsätzlich unterscheidet man zwei Strategien in der Gentherapie, namentlich zwischen einer ex vivo und einer in vivo Behandlung. Bei der ex vivo Behandlung werden die Zielzellen (z.B. Blutzellen) aus dem menschlichen Körper isoliert. Diese werden dann im Labor vermehrt, mit dem gesunden Gen bestückt und schliesslich wieder zurück in den Körper des Kranken gebracht. Bei der in vivo Behandlung wird das gesunde Gen direkt in die von der Krankheit betroffenen Körperzellen (z.B. Lungenzellen) dirigiert. Dieses Ziel kann mit Hilfe von Viren oder Fetttröpfchen erreicht werden, die vorgängig mit dem gesunden Gen ausgestattet wurden.
Die Gentherapie von Ei- und Spermazellen, die sogenannte Keimbahn-Gentherapie, ist verboten. Bei der Keimbahn-Gentherapie würde die genetische Veränderung an die Nachkommen weitervererbt. Hingegen ist die Gentherapie von allen übrigen Körperzellen erlaubt, also z.B. von Blut-, Leber- oder Lungenzellen. Man spricht von der somatischen Gentherapie. Sie betrifft nur den behandelten Menschen, nicht aber seine Nachkommen.
Erste Gentherapie
Die erste Gentherapie wurde im September 1990 in den USA bei einem vierjährigen Mädchen durchgeführt, das an einer schweren Erbkrankheit litt, der sogenannten SCID-X1. Diese Krankheit äusserst selten. Sie tritt nur bei einem von 100.000 Neugeborenen auf. Die schwere Immunschwäche wird durch ein einziges defektes Gen verursacht. Dieser Defekt hat zur Folge, dass das entsprechende Eiweiss nicht funktionstüchtig ist. Die Aufgabe dieses Proteins im menschlichen Körper ist die Beseitigung bestimmter schädlicher Abbauprodukte.
Ohne das Eiweiss reichern sich Abbauprodukte im Blut an und zerstören wichtige Zellen des Immunsystems. Der Körper ist Infektionen hilflos ausgeliefert. Die bestmögliche Therapie wäre eine Knochenmarktransplantation mit perfekt abgestimmtem Knochenmark, das gesunde Immunzellen produziert. Nur für wenige betroffene Kinder findet man einen geeigneten Spender. Seit einigen Jahren kann den anderen wenigstens teilweise mit dem Eiweissersatz geholfen werden.
Gentherapie gegen die Lungenzerstörung
Die Zystische Fibrose (CF), auch unter dem Namen Mukoviszidose bekannt, ist eine der am weitesten verbreiteten Erbkrankheiten in Europa und die häufigste Stoffwechselkrankheit im Kindesalter. Sie tritt etwa bei einem von 2.000 Neugeborenen auf. 1989 entdeckten Wissenschaftler dank Gentechnik das für die Erbkrankheit verantwortliche defekte Gen. Die Folge ist eine Funktionsstörung der schleimproduzierenden Drüsen. Deshalb kommt es häufig zu Entzündungen und Infektionen der Atemwege. Quälender Husten und Atemnot nehmen im Verlaufe der Krankheit zu. Unbehandelt werden die Lungen allmählich zerstört. Den Symptomen kann heute mit Medikamenten entgegengewirkt werden: Antibiotika gegen die bakterielle Belagerung der Atemwege und gentechnisch gewonnene Medikamente, die den abgelagerten Schleim verflüssigen.
Die Behandlung wird durch Physiotherapie ergänzt. Sie hat zum Ziel, das zähe Sekret aus den Lungen zu entleeren. Diese therapeutischen Massnahmen verlangsamen das Tempo der Lungenzerstörung. Wenn die Lungen bereits stark geschädigt sind, wird heute als letzte Möglichkeit eine Lungentransplantation erwogen. Wirkliche Besserung und vor allem die lebenswichtige Vorbeugung nach der Diagnose der Krankheit erhofft man sich von der Gentherapie: Eine gesunde Version des Gens wird in ein Fetttröpfchen oder ein Virus verpackt und den kranken Lungen zugeführt. In die kranken Zellen aufgenommen, soll es dort die Funktion des defekten Gens ersetzen – so die Hoffnung.
Gentherapie gegen Krebserkrankungen
Nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist Krebs die zweithäufigste Todesursache im Erwachsenenalter. Tumore der weiblichen Brust, des Dickdarms und der Lungen treten am häufigsten auf. Bei den Krebserkrankungen sind neue Behandlungsformen dringend erforderlich. Dank Gentechnik ist es in den vergangenen Jahren gelungen, mehr als 200 Gene zu identifizieren, die ursächlich am Entstehen bestimmter Krebsformen beteiligt sind. Man nennt sie Tumorgene. Ihre Aufgabe im menschlichen Körper ist die Regulierung der Zellvermehrung und Gewebedifferenzierung. Sind in einer Zelle mehrere dieser Gene defekt, gerät die Vermehrung der Zelle ausser Kontrolle: Sie teilt sich ungehemmt auf Kosten gesunder Nachbarzellen – es entsteht ein Tumor.
Die Mehrzahl der Schäden, die zu Tumorgenen führen, werden im Laufe des Lebens erworben. Sie können spontan oder durch äussere Faktoren wie Viren, Chemikalien oder Strahlung entstehen. Der Zusammenhang zwischen Tabakkonsum und Lungenkrebs oder Sonnenbaden und Hautkrebs ist heute unbestritten. Es sind aber auch vererbte Gendefekte bekannt, die für die betroffenen Menschen eine erhöhte Anfälligkeit für bestimmte Krebsformen ergeben.
Neben der Vorbeugung gegen Krebsarten, die stark von Umwelteinflüssen und Lebensgewohnheiten abhängen, scheint die Gentherapie eine vielversprechende Behandlungsform zu sein. Die Ansätze sind unterschiedlich: Dem Patienten werden Krebszellen entnommen und im Labor mit einem Gen bestückt, das ihnen die Eigenschaft verleiht, nach Rückgabe in den Tumor vor Ort bestimmte Immunzellen zu aktivieren. Diese gehen dann gegen die Krebszellen vor. Dieses Verfahren wurde für bestimmte Formen des Lungenkrebses und des schwarzen Hautkrebses bereits angewandt. Bei Hirntumoren wird das Gen im Labor in Bindegewebszellen geschleust. Diese werden dem Kranken direkt ins Gehirn gespritzt, wo sie ein Eiweiss produzieren. Dem Patienten wird nun ein Medikament verabreicht, welches durch dieses Eiweiss eine krebszerstörende Wirkung erhält.
Gentherapie gegen Infektionskrankheiten
Weltweit sind umd die 20 Millionen Menschen mit dem Aids-Virus infiziert. Angesichts dieser immensen Herausforderung erstaunt es nicht, dass weltweit intensiv nach einer wirksamen Therapie gesucht wird. Die bisherigen Erfolge in der Aidsforschung wären ohne Gentechnik nicht möglich gewesen:
Das Virus wurde in Rekordzeit isoliert, sein Erbgut entschlüsselt, sein Aufbau analysiert und ein gentechnischer Test zum Nachweis des Aids-Virus in Blutproben entwickelt. Gegenwärtig sind mehrere gentechnische Medikamente verfügbar, welche die Vermehrung des Virus angreifen und so den Krankheitsverlauf verzögern. Die Entwicklung eines Impfstoffes mit herkömmlichen Methoden schlug bisher fehl.
Ein völlig neuartiger Ansatz beruht auf einer Impfung mit Genen des Aids-Virus. Deshalb fällt diese Art der Impfung in den Bereich Gentherapie: Das Gen, welches für die Herstellung des Hülleiweisses des Aids-Virus verantwortlich ist, wird direkt in den Muskel des Kranken gespritzt. Dort wird das Hülleiweiss in sehr geringen Mengen über einen langen Zeitraum produziert. Es löst im Körper zwei wichtige Reaktionen aus, die Produktion von Antikörpern und die Aktivierung von Killerzellen. Die Antikörper inaktivieren das Virus, während die Killerzellen Virus-infizierte Zellen töten. Der Geimpfte ist also quasi sein eigener Impfstoff-Produzent.
Weltweit sind Anstrengungen im Gange, auch gegen andere Krankheitserreger wie Hepatitis-C-Viren, Genitalwarzenviren, Herpesviren, verschiedene Tierviren sowie gegen Malaria und Tuberkulose Gen-Impfungen zu entwickeln. Auch gegen Krebs will man mit Genen vorgehen. Die Gentherapiebehörde der USA hat eine Gen-Impfung gegen Dickdarmkrebs bewilligt. Und in Grossbritannien soll auf diese Weise Brustkrebs behandelt werden. Auch an der Universität in Zürich ist eine Gen-Impfung gegen den schwarzen Hautkrebs (Melanom) in der Frühphase der Entwicklung.